Montag, Juni 27, 2005

Strategie & Taktik von Bürgerbewegungen

Jahreshauptversammlung des BDB in Wertheim am 4. Juni 2005

Vortrag von Rolf Stolz (Die Grünen)


Unser grundsätzlicher Ansatz,
unsere Aktionsschwerpunkte


Wir sollten, ehe wir über Strategie und Taktik nachdenken - also darüber, welche Handlungen in welcher Weise eingesetzt werden, um selbst stärker zu werden und andere parallel dazu schwächer zu machen - zunächst einmal über zwei Dinge eine gewisse Einigung und Klärung erreichen:

1. Was ist der grundsätzliche Ansatz, in den wir die eigene Arbeit einbetten?,
2. Was sind unsere Aktionsschwerpunkte?.

Die Arbeit, die der BDB leistet, kann von zwei Seiten gesehen und verstanden werden:
Einerseits nach innen hin im Hinblick auf das, was wir vertreten: Hier geht es um unser Selbstverständnis, unser eigenes Programm.
Andererseits nach außen hin: Hier gibt es zwei Möglichkeiten - wir können wie manche Sekten proklamieren „Nur wir und niemand sonst", wir können aber auch eine Vorstellung und ein Konzept entwickeln über die Verbindung und das Bündnis mit anderen Kräften.

Ich plädiere gegen die Sektenhaftigkeit und gegen den Alleinvertretungsanspruch, aber für die eigene Identität. Wir benötigen einerseits ein sehr klares Selbstverständnis, andererseits auch das Zusammengehen mit anderen. Ich will diese Vorstellung in das Bild der Regenbogenkoalition und eines Konzeptes teilautonomer Kerne kleiden.

Beginnen wir mit den teilautonomen Kernen! Ich bin der Auffassung, daß wir nicht die mindeste Chance hätten, würden wir versuchen, den antiislamischen Widerstand in eine Parteiform zu bringen, in der alles sozusagen eins wird bzw. sehr eng zusammengefügt wird. Ich gehe davon aus, daß es mehrere Kerne geben wird, mehrere Aktionszentren, von denen Aktivität ausgeht. Auch die einzelne Bürgerinitiative ist bereits ein Kern. Der BDB hingegen ist eine Art Frucht, die mehrere Kerne zusammenbringt, gleichzeitig aber auch selbst zum Kern von Initiativen werden kann. Aktive Kerne sind darüberhinaus vorstellbar als Arbeitsgemeinschaften in einer Partei oder als eine Gruppe in einem Verband, der nicht im engeren Sinn politisch ausgerichtet ist. Man könnte sich z. B. im „Verein Deutsche Sprache" eine Arbeitsgemeinschaft vorstellen, die sich Veränderungen der deutschen Sprache unter dem Vorzeichen von Zuwanderung und Islamisierung zum Thema setzt und dies zum Ansatzpunkt von Diskussion und Aktion macht.

Wie man sieht, kann man sich mit viel Phantasie viele dieser Kerne vorstellen. Allerdings wird aus dem, was sie tun, dann nichts werden, wenn sie sich als komplett autonom betrachten, wenn jeder nur sein eigenes Süppchen kocht und nur mit sich selbst spricht. Daher verfechte ich eine Teilautonomie, d. h. man beschränkt sich selbst in der eigenen Selbständigkeit insoweit, als man mit anderen Absprachen trifft. Auch befreundete Gemüsehändler würden, platt gesagt, sich einigen, nicht an der selben Ecke ihre Waren zu verkaufen. Es muß daher möglich sein, mit anderen Gruppierungen wie "Voice for Europe" bei aller Konkurrenz und allen Gegensätzen ein geregeltes Miteinander aufrechtzuerhalten.
Wenn diese Kerne aktiv sind und nicht nur um sich selbst kreisen, wenn sie sich miteinander verbinden, sich ein Stück miteinander vernetzen, dann kommt die Zielsetzung der Regenbogenkoalition zum Tragen. Dieser bildhafte Begriff soll ausdrücken: Im gesellschaftlichen Alltag wird ein Zusammengehen angestrebt, das viel weiter reicht als allgemein üblich. Wir wissen ja, wenn bei Koalitionen von „rot-grün" oder „schwarz-gelb" die Rede ist, geht es um ein sehr deutlich eingegrenztes Farbspektrum. Es kommt dabei häufig auch die zeitliche Begrenzung auf eine Wahlperiode hinzu. Der Regenbogen soll demgegenüber eine größere Offenheit und eine größere Distanz zu taktischen Spielchen ausdrücken. Auch die Gewerkschaften sind übrigens ursprünglich als Koalitionen und Aktionsbündnisse entstanden.

Ich bin mir darüber im Klaren: Diese Offenheit schließt auch ein, daß man sofort sehr heftig diskutieren wird. Die Bereitschaft der Menschen, mit Gegensätzen und Widersprüchen zu leben, ist eine sehr unterschiedliche. Es gibt nun einmal Menschen mit engerem und solche mit weiterem Herz. Andererseits ist es unbedingt notwendig, darüber zu sprechen, wie weit man das Bündnis ziehen kann, wenn man eine Einigung dieser verschiedenen handelnden Kerne hat und sie sich verbünden.

Dieses Bündnis verbündet sich gegen politische Gegner. Bei der Frage „Wer ist der Gegner?" gerät man in Abgrenzungsprobleme. Ist der Gegner der Islamismus oder ist der Gegner der Islam? Oder ist der Gegner womöglich nur das, was man als Dschihadismus bezeichnet und was wiederum nur einen Teilbereich des Islamismus ausmacht – nämlich den Teil, der direkt Krieg führt, Terror vorbereitet, für Terror Propaganda macht, Terrorakte begeht. Man muß sich dieser Frage stellen, wenn man Klarheit erreichen und handlungsfähig sein will. Natürlich werden hier die stärker in sich geschlossenen Kerne mit einer zugespitzten Programmatik anderes vertreten als die offenen Aktionsbündnisse auf der Grundlage eines Minimalkonsenses. Gleichwohl muß man in der praktischen Politik aufeinander Rücksicht nehmen und am größten gemeinsamen Nenner festhalten.

Meine eigene Position ist eine aufgeklärt christliche. Ich will nicht verschweigen, daß ich sehr entschieden für Mission plädiere - auch unter denen, die als Muslime hierher gekommen sind. Das Christentum, wenn es sich behaupten wird - und ich bin davon überzeugt, daß es sich behaupten wird - wird sich nicht zuletzt in Afrika durchsetzen. Es gibt dort Mission unter Muslimen, und es wird sie weiter geben, ob man das seitens der europäischen Kirchen wünscht oder nicht. Aus dieser Sicht heraus habe ich die Auffassung des „roll back Islam". Ich kann mir vorstellen - wann immer das sein wird - daß der Islam durch Überzeugung, durch Mission, sich dorthin zurückbewegt, wo er hergekommen ist, auf die arabische Halbinsel. [Applaus] Das ist natürlich eine sehr zugespitzte und radikale Position, aber sie zu vertreten muß möglich sein in einem engeren Kreis. Der engere Kreis, der das verficht, wird sich natürlich mit anderen Kreisen, die diese Überzeugung nicht teilen, verbinden müssen. Wir müssen in diesem Zusammenhang klären, ob das angestrebte große Bündnis ein rein christliches sein soll, von dem alle anderen von vornherein ausgeschlossen sind, ob also etwa Reformmuslime unerwünscht sind oder ob sie sich gerade im Gegenteil zur Mitarbeit aufgefordert sehen sollen. Meine Erfahrung ist, daß im Kampf gegen den Islamismus die Zusammenarbeit mit Reformmuslimen möglich ist. Ich habe mehrfach erlebt, daß Reformmuslime sich wesentlich entschlossener öffentlich den Islamisten entgegengestellt haben als jene, die ihre christliche Überzeugung lieber für sich behielten. Es entsteht dann die etwas absurde Situation, wie ich sie vor einigen Jahren in Kirchheimbolanden erlebt habe, daß die Bürgerinitiative gegen ein geplantes „Islamisches Kulturzentrum" ausging und getragen wurde von einem muslimischen - aber eben reformmuslimischen - Ehepaar aus Algerien. Etliche ihrer deutschen Mitbürger erklärten sich solidarisch, unterschrieben aber aus Angst und Feigheit nicht auf der Unterschriftenliste.

Wir sollten, wo sie denn existieren, die Übereinstimmungen mit Reformmuslimen wie Bassam Tibi politisch wirksam machen. Wir sollten nicht in eine Position verfallen, daß derjenige, der nicht völlig mit uns übereinstimmt, eigentlich noch sehr viel schlimmer sei als die deutlichen und offenen Feinde. Es muß unter diesem Vorzeichen möglich sein, über ein teilweises Zusammengehen an bestimmten Punkten Menschen mit ganz unterschiedlichem Hintergrund zusammenzubringen. Das wird natürlich nicht immer für alle und an jedem Ort möglich sein. Wenn wir dafür kämpfen, daß das Kruzifix im Klassenzimmer bleibt, dann werden die ausgeprägten Atheisten mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mit von der Partie sein. Wenn bei einer Aktion die Stoßrichtung nicht einfach nur die Kritik am Islamismus ist, sondern der Islam insgesamt in Frage gestellt wird, dann werden Reformmuslime und ihnen Nahestehende wegbleiben. Das muß man akzeptieren und aushalten. Mit solchen Widersprüchen wird man, wenn der BDB anwächst, auch unter dem Dach des BDB leben müssen.


Eine Regenbogenkoalition kommt nicht von der Stelle und hat auch keine Chancen, wenn die einzelnen beteiligten Kräfte mehr gegeneinander kämpfen, als gegen einen gemeinsamen Gegner. Alle neuen Bewegungen werden von den Etablierten verteufelt, unterwandert, sabotiert. Aber nichts gefährdet sie so sehr wie das Absorbieren aller Kräfte durch internen Kampf gegeneinander. Aus meiner Sicht bleibt es wichtiger, mit den halben Freunden zusammen etwas gegen die ganzen Feinde zu unternehmen, als mit den halben Freunden einen Krieg darüber zu führen, was sie alles noch falsch sehen und anders sehen sollten. Wir sind keine religiöse Bewegung, die einen Anspruch von absoluter Wahrheit haben muß. Wir haben im übrigen gerade das Problem, als politisch-kulturelle Bewegung einer Kraft gegenüberzustehen, die zwar nicht religiös im eigentlich Sinne ist, aber die Religion für politische Zwecke mißbraucht. Es ist ein Teil unserer Überlegenheit gegenüber dem Islam, daß wir der behaupteten und erschwindelten ewiggültigen Wahrheit des Korans gegenüber unsere eigene Weltanschauung und Lebenshaltung einnehmen, mit sehr relativen Erkenntnissen in einem unaufhörlichen Lernprozeß zu stehen. Es ist unsere große Chance, daß wir ein sehr offenes und bewegliches Projekt begonnen haben und wir weder eine Sekte, noch eine Erweckungsbewegung, noch eine Partei sein wollen, die ein vorher festgelegtes Programm exekutiert.


Nun zu den möglichen Aktionsschwerpunkten einer hoffentlich erfolgreichen Politik. Zentral wichtig kann hierbei nur das sein, was man an einer Hand abzählen kann. Alles, was darüber hinausgeht, zerfasert. Gerade mit unseren begrenzten Kräften müssen wir uns konzentrieren und festlegen, welcher Schwerpunkt der allerwichtigste ist. Aus meiner Sicht ergeben sich folgende fünf zentralen Aktionselemente:

Das erste ist der Kampf gegen den Bau von immer mehr und immer größeren Moscheen. Wir haben in den letzten dreißig Jahren eine Moscheewelle erlebt, die von kleinen Anfängen aus immer weiter angestiegen ist. Gegenwärtig handelt es sich geradezu um einen Moschee-Tsunami, der über Deutschland hereinbricht.

Zweitens geht es um die kopftuchfreie Schule. Das Kopftuch ist ein Symbol für eine bestimmte Art von Un-Bildung und negativer Erziehung. Mit dem Widerstand dagegen, mit dem Engagement für eine freie Bildung und Erziehung wird man schon im Kindergarten anfangen müssen. Natürlich kann man das Kopftuch noch in ganz anderen Zusammenhängen thematisieren, aber aus vielen Gründen ist die Schule vorerst die Hauptfront, an der sich das Propagieren für und durch das Kopftuch ebenso entfaltet wie der antiislamische oder islamkritische Widerstand. Es geht gegenwärtig nicht so sehr um die Polizistin oder die Richterin mit Kopftuch. Es geht erst einmal darum, dort, wo über die Jugend und unsere Zukunft entschieden wird, durchzusetzen, daß sich Grundlegendes ändert. Es geht um all das, was jetzt mit islamischem Unterricht etwa in Bayern betrieben wird, wo die CSU sich bei der Verankerung des Islam in den Schulen in manchem wirklich als Vorreiter fühlen kann.

Als dritten Schwerpunkt sehe ich die Frage des Beitritts der Türkei. Sie wird, egal was geschieht, uns in den nächsten zehn Jahren beschäftigen, selbst wenn die Beitrittsverhandlungen vorläufig ausgesetzt werden sollten. Die Türkei und andere Interessierte einschließlich der USA werden mindestens für diesen Zeitraum dieses Projekt verfolgen - das bleibt uns erhalten.


Als vierte ganz wesentliche Frage sehe ich all das, was die Rolle der Frau im Islam betrifft. Dieses Thema ist durch die „Ehren"-Morde in Deutschland nun endlich aus dem Dunkel an die Oberfläche gekommen. Hier entwickelt sich die Chance, eine große Zahl von Menschen anzusprechen mit etwas sehr Unmittelbarem, das sie als Mann bzw. als Frau interessiert. Eltern machen sich ihre Gedanken, was hier auf sie zukommen kann. Angesichts der Bevölkerungsentwicklung ist der muslimische Schwiegersohn, die muslimische Schwiegertochter nicht gerade unwahrscheinlich. Mit anderen Worten, wir haben hier kein Spezialthema von oder für Frauen, sondern ein ebenso entscheidendes wie populäres, auch die Gedanken und Gefühle ganz einfacher Menschen berührendes Problem.

Als fünften Aktionsschwerpunkt sehe ich einen Fragenkomplex, der schwer exakt zu fassen ist, nämlich die Islambetroffenheit. In einem unmittelbareren Sinne, als es uns betrifft, sind die Christen und anderen religiösen Minderheiten in den islamischen Ländern Objekt und Opfer der islamischen Vorherrschaft. Sie alle haben noch mehr Grund als wir, sich mit dem Islam nicht nur auseinanderzusetzen, sondern auch sich gegen seine Übergriffe und seine Dominanz zu wehren. Unser Ziel muß es sein, sie dabei zu unterstützen, Verbündete zu finden und den Monolith Islam von seinen Rändern her aufzubrechen. Alle diese Gemeinschaften sind in Deutschland vorhanden als Minderheit, als religiöse Organisation. In der Verbindung mit diesen, für sich oft gar nicht sehr großen Gruppen können wir gemeinsame Aktionen auf den Weg bringen und so eine ganz andere Kraft darstellen als ohne sie. Hier gehört das Schicksal der Armenier hinein, vom Völkermord 1914/15 bis zum heutigen Armenien, die Situation der syrisch-orthodoxen Christen aus der Osttürkei, der Kopten oder die der Aleviten, die irgendwo zwischen 15 und 30 Prozent der Türken und Kurden in Deutschland ausmachen sowie vieler anderer christlicher und nicht-christlicher Gruppen. Die Aleviten stehen im übrigen in einem sehr komplizierten Prozeß. Ein Teil versucht, die Verbindung zum Islam zu halten, ein anderer Teil bewegt sich vom Islam weg bzw. wird vom offiziellen Islam massiv abgestoßen und als Ketzer ausgestoßen.

Wir werden anders als heute über Strategie und Taktik sprechen können, wenn es gelungen ist, mit mehr als einem Dutzend Mitstreiter an einem zentralen Ort in der Bundesrepublik so präsent zu sein, daß davon in der Tagesschau gesprochen werden muß. Das ist zwar ein noch etwas utopisches und fernes Ziel. Aber wenn das, was wir hier machen, irgendeinen Sinn haben soll, dann muß der BDB um 19 Uhr und um 20 Uhr im deutschen Fernsehen vorkommen. Wenn nicht...
Es wäre verheerend, wenn wir dasäßen und warteten auf die großen Katastrophen – und das in dem wohlig-gruseligen Gefühl, irgendwann werde es den ganz schlimmen Anschlag hier geben, und dann werde man uns rufen. Gerade aus der deutschen Geschichte sollte man wissen, wie eine solche Haltung unter dem Motto, „es muß erst einmal die große Wirtschaftskrise kommen und dann wird alles besser und die Revolution wird siegen" scheitern muß.

Ganz besonders wichtig für alle, die sich zur Wehr setzen, ist das Gefühl, nicht allein zu sein mit der eigenen Sicht der Welt und den eigenen Veränderungswünschen. Das Thema „Achtundsechziger-Bewegung" ist vorhin angesprochen worden. Bei allen vergleichbaren Bewegungen, auch beim Aufstieg der Grünen, war ein ganz entscheidender Faktor, daß die Beteiligten das Gefühl hatten, wir stehen nicht allein – überall im Land, überall auf der Welt haben wir Verbündete, wir haben das moralische Recht und die geistigen Werte auf unserer Seite, wir werden Erfolg haben. Man mag denken, in diesem Moment ein bißchen zu früh zu sein und den richtigen Zeitpunkt für größere Aktionen noch vor sich zu haben, aber wir haben allen Grund zu der Erwartung, daß wir die Zeit auf unserer Seite haben. Wir stehen nicht an einem Schlußpunkt wie 1453 in Byzanz, als die Niederlage sicher und nur noch fraglich war, ob man sich noch ein halbes Jahr oder nur noch zehn Tage werde halten können.

Vor allem muß man realistisch sein: In jeder Bewegung sind es immer wenige, die den Kopf hinhalten – auch bei hunderttausend Demonstranten meist nur die zehn, die vorne gehen. Wir haben andererseits durchaus so etwas wie ein Mandat derjenigen, die auf uns ihre Hoffnungen setzen – einen Auftrag, nicht allein zu bleiben, sondern alles zu versuchen, um mit anderen zusammenzukommen. Daher sollte man sich für die nächste Mitgliederversammlung in einem Jahr vornehmen, Bilanz zu ziehen, welche Verbindungen und Bündnisse wir in dem einen Jahr erreichen konnten. Was dann aus unseren Plänen geworden ist, wird die Zukunft zeigen. Dass wir nicht bei Plänen stehenbleiben dürfen, wissen wir.

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